Entschuldigung, der Wald ist unordentlich
von Elke Schlotmann
Kanada zu entdecken, dazu gehörte für uns auch ein Ausritt durch die Natur. Wir hatten uns bereits von Deutschland aus eine kleine Ranch gesucht, die so früh im Jahr schon geöffnet hatte und fuhren voller Vorfreude dorthin.
Die letzten paar Kilometer des Weges zur Ranch waren recht unwegsam, da wir nicht mehr über eine geteerte Straße, sondern eher eine Art rumpeligen Waldweg fuhren. Bei der Ranch angekommen, die auf einem kleinen Hügel lag, eröffnete sich uns ein wunderschönes Panorama über Weiden, Wälder und Hügel. Sarah, die Inhaberin derRanch, begrüßte uns fröhlich und brachte uns zu den Pferden. Sie erklärte uns, dass diese Tiere in der Hauptsache Arbeitspferde seien, da die Ausritte für die Ranch nur als kleiner Nebenerwerb dienten. Bei einem Blick auf meine Wanderschuhe wurde sie ernst. Damit könne ich keinesfalls reiten, das sei das falsche Schuhwerk, erklärte sie mir und verschwand im Stall. Kurze Zeit später kehrte sie zurück, in ihrer Hand ein paarCowboystiefel. Sie waren mir zwar zwei Nummern zu groß, aber ich hatte nicht viel Auswahl. Also rein in die Stiefel und rauf aufs Pferd – schließlich musste ich ja darin nicht herumlaufen! Meine Freundin hatte mehr Glück, ihre Schuhe gingen als tauglich durch.
Seit Jahren hatte ich auf keinem Pferd mehr gesessen, trotzdem fühlte ich mich sofort wohl auf der Stute, die für mich ausgewählt war.
Der Hund der Ranch, ein großer Berner Sennenhund, begleitete uns fröhlich bellend. Dann kam die erste Überraschung – direkt vor uns war ein Gatter, dahinter eine Weide voller riesiger Black Angus-Rinder. Sarah steuerte direkt darauf zu, und während ich noch so bei mir dachte „Die wird doch nicht…“ öffnete sie das Gatter und winkte uns hindurch. Oookay… Unsere Pferde gingen entspannt hindurch, und Sarah schloss das Tor hinter uns. Wir hielten direkt auf die aus etlichen Dutzend Tieren bestehende Herde zu, die wie eine Mauer vor uns wirkte. Als die ersten Rinder zur Seite gingen, machte mein Pferd plötzlich einige Sprünge seitwärts, um ihnen den Weg abzuschneiden. Sofort wurde mir bewusst, was Arbeitspferd bedeutete – damit wurden normalerweise die Rinder getrieben, und mein Pferd tat jetzt seinen eigentlichen Job! Nachdem ich den Schreck überwunden hatte, brachte ich es dazu, weiter einfach hinter dem von Sarah hinterher zu laufen statt Rinder zu treiben. Ein wenig widerwillig ließ es sich darauf ein, so dass wir nun geradewegs durch die Herde hindurch die Weide überquerten. Ein doch sehr eigenartiges Gefühl, wie ich gestehen muss, zumal die Rinder häufig erst im letzten Moment zur Seite gingen. Auf der anderen Seite angekommen, verließen wir die Weidegründe und machten uns auf den Weg in den Wald.
Als wir eine Lichtung überquerten, hielt Sarah plötzlich an und rief scharf ihren Hund zu sich.
In rund 50 Meter Entfernung waren zwei Coyoten aufgetaucht, die uns interessiert beobachteten. So musste der Hund nun direkt bei uns bleiben, denn die Coyoten waren zwar nicht für uns, sehr wohl aber für ihn gefährlich. Es war ein tolles Erlebnis, diesen Tieren auf unserem Ritt zu begegnen, zumal sie einige Zeit neben uns blieben. Ein wenig mulmig wurde es mir nur, als wir einen Abhang quer hinunterritten und die Coyoten plötzlich über uns standen. Sie verschwanden aus unserem Blickfeld, als wir tiefer in den Wald eintauchten.
Während wir am Ufer eines Flusses entlang ritten, drehte sich Sarah plötzlich um, schaute uns an und meinte, sie müsste sich bei uns entschuldigen, dass der Wald so unordentlich sei, aber es hätte kurze Zeit zuvor ordentlich gestürmt und sie seien noch nicht zum aufräumen gekommen. Wir schauten uns irritiert um – da lagen ein paar vereinzelte kleinere Bäume, ein paar Äste hingen in Büschen, nichts, was man in einem Wald als unnatürlich oder übertrieben ungepflegt einordnen würde. Das sagten wir ihr auch, aber sie bestand darauf, dass es eigentlich unmöglich sei, uns als ihren Gästen so einen ungepflegten Wald zu präsentieren, wir müssten ja den Eindruck haben, sie seien ganz schlampige Farmer! Das kam so treuherzig und überzeugt heraus, dass ich sie umarmt hätte, wenn ich nicht gerade auf einem Pferd gesessen hätte!
Wir genossen die gemeinsame Zeit auf dem Pferderücken sehr, und als wir später nach nochmaliger Durchquerung der Rinderherde (dieses Mal schon ganz routiniert) wieder auf der Ranch ankamen, wurden wir von Sarahs Mann mit heißem Tee und frisch gebackenen Keksen begrüßt. Wir saßen noch einige Zeit gemütlich vor dem Stall zusammen, die beiden erzählten uns von ihrem Farmalltag und davon, wie schön sie es finden, Besuch aus der ganzen Welt zu bekommen. Eine Aussage von Sarah wird mir immer im Gedächtnis bleiben: